International: 12. Istanbul Biennale

12. Istanbul Biennale

 

Kunst am Bosporus – 12. Istanbul Biennale

 

Schon auf der Berlin Biennale 2010 stellte sich eine Frage: spielt es im globalisierten Biennale-Geschäft überhaupt noch eine Rolle, an welchem Ort sie stattfindet?

Auch die zwölfte Istanbul Biennale mit dem Titel „Untitled“, die Anfang September in zwei alten Lagerhallen am Ufer des Bosporus eröffnete, könnte inhaltlich ebenso in irgendeiner anderen Stadt der Erde gezeigt werden.

 

12. Istanbul Biennale

 

Auch dank einer vermögenden Sponsorengruppe zählt die seit 1987 alle zwei Jahre in der türkischen Metropole stattfindende Kunstschau mittlerweile neben den Biennalen in Venedig und Sao Paulo zu den wichtigsten Biennalen weltweit.

Aber gerade an ihrem Anspruch, international mitzuspielen, kränkelt die diesjährige Ausstellung. Vom Kuratorenduo Adriano Pedrosa aus Brasilien und Jens Hoffmann aus Costa Rica organisiert, lässt sie jeglichen Bezug auf die Türkei vermissen. Die Schau ist straff strukturiert, doch nicht ein einziger Ausstellungsort in der Stadt wurde genutzt.

Adriano Pedrosa & Jens Hoffmann

Als Ideengeber der Schau wählten die Kuratoren den bereits verstorbenen Künstler Felix Gonzalez-Torres (1957-1996). Die fünf Themenblöcke Abstraktion, Reisepass, Geschichte, Death by Gun und Ross sind Paraphrasen jeweils eines Werks des kubanisch-amerikanischen Konzeptkünstlers und sollen seine Gedanken weiterführen.

Für die Ausstellungsarchitektur mit fünf Gruppenschauen und 50 Einzelpositionen verfrachtete der japanische Architekt Rye Nishizawa Aluminiumboxen in die orangefarben gestrichenen Lagerhallen. Sie gleichen Containern auf einem Frachtschiff und wirken wie eine Anspielung auf die Globalisierung der Kunst.

12. Istanbul Biennale

Besonders wichtig war es den Kuratoren, Verbindungen zwischen den Gruppen- und Einzelschauen zu schaffen. Das Kapitel „Untitled“ (Abstraktion) orientiert sich an der Arbeit „Untitled“ (Bloodwork – Steady Decline, 1994) von Gonzalez-Torres, die den Verlauf eines an Aids erkrankten Menschen auf Koordinatenpapier durch eine abfallenden Linie deutlich macht.

In der Ausstellung führt eine ganzflächige Bodenskulptur der Brasilianerin Renata Lucas aus faltbaren Holzplatten, die man je nach Bedarf aufstellen oder zusammenklappen kann, zu feinsinnigen geometrischen Papierfaltarbeiten der Ungarin Dóra Maurer und schließlich zu der Arbeit „Untitled“ (Hair with Grids) der Libanesin Mona Hatoum, die Haare in Papier verarbeitet hat.

Renata Lucas, "Failure" (2003)

Gonzalez-Torres Arbeiten haben immer eine persönliche Ebene. Der Künstler machte seine Sexualität zum zentralen Thema vieler Arbeiten und verarbeitete in seinen Werken schmerzhafte Erfahrungen, wie den Verlust seines Liebhabers Ross Laycock.

So zeigt das Biennale-Kapitel „Untitled“ (Ross) unter anderem die Video-Arbeit „Last Address“ (2009) von Ira Sachs. Der Regisseur filmte letzte Wohnorte an AIDS verstorbener New Yorker Künstler, wie Keith Haring oder Robert Mapplethorpe. Einen ganz intimen Einblick in ihr Privatleben hingegen gewähren die in Berlin lebenden Künstler Elmgreen & Ingar Dragset in „The Black and White Diary (2009) mit über 300 intimen Privatfotos. Bemerkenswert sind auch die Porträtaufnahmen der Künstlerin Catherine Opie, die um das Thema Geschlechteridentität kreisen.

Catherine Opie, Frankie (1995)

Ein weiterer Aspekt der Biennale sind die medial übergegenwärtigen Bilder zu Gewalt, Krieg und Terrorismus. In „Untitled“ (Death by Gun) dokumentiert die Fotografin Letizia Battaglia Mafia-Morde in Sizilien und Matt Collishaw lässt den Betrachter in „Bullet Hole“ tief blicken auf ein fieses Einschussloch in einem Schädel, das von Collishaw ästhetisch aufgearbeitet zunächst wie ein Kirchenfenster wirkt.

Wie Geschichte manipuliert und umgeschrieben wird, beschreibt der Abschnitt „Untitled“ (Geschichte). Der Ägypter Wael Shawky erzählt in „Cabaret Crusades: The Horror Show File“ (2010) mit 200 Jahre alten italienischen Marionetten die Geschichte der Kreuzzüge (1096-99) aus arabischer Sicht. Das düstere, aber brillante Marionettentheater in Spielfilmlänge stellt wichtige Fragen zum westlichen Blick auf die arabische Welt und vice versa.

Sie ist die einzige Arbeit, die als Bezug zu Istanbul gelten kann. Schade eigentlich, denn schließlich erobert türkische Kunst derzeit weltweit Galerien, Museen und Sammlungen.

Zum Glück zeigt das Kunstmuseum Istanbul Modern, gleich neben den Biennale-Hallen gelegen, zeitgleich die kluge und provokante Ausstellung „Dream and Reality“, in der türkische Künstlerinnen die soziale und kulturelle Transformation ihres Landes sichtbar machen, mit dabei etwa die wunderbare Performerin, Fotografin und Video-Künstlerin Nilbar Güres. Manchmal darf es eben auch weniger global sein.

Laila Niklaus

(kürzere Fassung im TIP erschienen am 29. September 2011)

 

„Untitled“ (12th Istanbul Biennal), 2011, bis 17. November 2011

http://12b.iksv.org/en/index.asp

 

„Dream and Reality“, Istanbul Modern, bis 22. Januar 2012 http://www.istanbulmodern.org/en/f_index.html

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