Gastbeitrag International: 54. Biennale in Venedig

Norma Jeane, 54. Biennale Venedig

Norma Jeane – ein Gesicht mit vielen Gesichtern

Unsere Gastautorin Vivien Trommer hat sich in Venedig auf der 54. Biennale umgeschaut und eine Arbeit der US-amerikanischen Künstlerin Norma Jeane entdeckt, die quasi bei ihr kleben blieb.

 

Norma Jeane, Knet-Kubus in den Farben der ägyptischen Flagge

Norma Jeane stellte zur Eröffnung des Padiglione Centrale, inmitten eines noch sauberen Ausstellungswürfels, das interaktive Kunstwerk „#Jan25 (#Sidibouzid, #Feb12, #Feb14, #Feb17…)“ – einen hüfthohen Kubus aus Knetmasse in den Farben der ägyptischen Flagge.

Die Besucher dürfen sich seither des Plastilins frei bedienen und werden so Teil des Kunstwerks, das sich beständig weiter entwickelt. Ein Ausstellungsbesucher schmierte „Democracia“ mit Filzstift und in großen Lettern an eine der Ausstellungswände.

 

Darunter tummeln sich die Besucher der Biennale und formen aus der dreifarbigen Knetmasse Wörter, Figuren und Symbole. Die rote, schwarze und weiße Knete ist mittlerweile über den gesamtem Pavillon verteilt: An den Wänden, auf dem Boden und an den Händen der Besucher. Eifrig hinterlassen die freiwilligen Teilnehmer anonyme Nachrichten oder arbeiten kollektiv an kleinen Bauprojekten.

Der Hintergrund der Installation hat aber nichts mit Spielerei zu tun, so verweist der Arbeitstitel auf die tunesische Stadt Sidi Bouzid und Zeitangaben, die sich auf politisch motivierte Unruhen in der arabischen Welt Anfang 2011 beziehen.

Die Datumsangaben, wie der 25. Januar, der 12. oder 14. Februar, gingen als Kürzel via Twitter um die Welt.

Sidi Bouzid gilt als Ursprung der Ausschreitungen in Tunesien, die in umwälzenden Revolutionen in Tunesien und Ägypten mündeten. 20 Zivilisten starben bei Protesten gegen den tunesischen Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali. Im Anschluss setzten sich die Demonstrationen in der Hauptstadt Tunis fort und griffen von dort aus über die Grenzen des Landes hinaus.

Die Arbeit Norma Jeanes weist auf die Vergänglichkeit von sprachlicher Kundgebung hin: Niemand weiß, welche Notiz Morgen noch zugänglich sein wird.

Rudolf Balmer zitierte in einem Artikel in der taz Ende Januar den tunesisch-französischen Schriftsteller Abdelwahab Meddeb, der die Ereignisse als medial geleitete Kettenreaktion charakterisierte: „Diese Revolution wurde im Wesentlichen über das Medium Internet von der digitalen Blog-Generation gemacht. Und ihr blitzartiger Verlauf entspricht der Geschwindigkeit und der Augenblicklichkeit, die dieses Mittel ermöglicht.“

Norma Jeanes Arbeit verleiht dem Phänomen einen neuen Ausdruck. Rasant vernetzen sich die Botschaften der Teilnehmer. Das internationale Publikum der Biennale tritt in Aktion. Die so entstehende Kommunikation überwindet (inter)nationale Differenzen. Ähnlich schnell fanden in der realen Welt die Meldungen der Revolution in Tunesien ihren Weg in die Öffentlichkeit und provozierten eine Art Domino-Effekt, der zu politischen Umstürzen im Nachbarland Ägypten führte.

Im Sinne des Arabischen Frühlings transformiert die Künstlerin das Symbol der Nation. Die Flagge Ägyptens zerfällt im Kunstkontext und verbindet sich zu einem neuen Netzwerk der Zeichen.

Norma Jeane ist das Pseudonym einer amerikanischen Künstlerin, die unerkannt bleiben möchte.

Die Künstlerin arbeitet in freien Kooperationen und erscheint nicht bei öffentlichen Veranstaltungen, sondern lässt Kollaborateure bei ihren Events und Performances auftreten. Norma Jeanes Arbeitsweise ist projektbezogen und wird von wechselnden Partnern getragen. Als ihren Wohnort gibt sie „everywhere“ (überall) an. Ihr Studio ist die Welt.

Den Mädchennamen einer der größten Schauspielikonen des 20. Jahrhunderts, Marylin Monroe, trägt sie dabei wie eine schützende Maske. Das Geburtstagdatum der Künstlerin, am 5. Juni 1962, fällt mit dem Todestag des Filmstars zusammen. Von der Künstlerin Norma Jeane existiert kein Abbild. Entweder hat sie kein Gesicht, oder aber sie hat tausende.

Ganz im Gegensatz zur Monroe, die als Popikone unter anderem von Andy Warhol in monumentalen Siebdrucken verewigt wurde.

Norma Jeanes Projekt ist auf den gesamten Zeitraum der Biennale angelegt. Jeder kann dabei zum Künstler werden. Das Ergebnis ist eine Vielzahl von Aussagen. Ähnlich dem Twittern werden dabei frühere Notizen aufgegriffen und verändert. Norma Jeane stellt das Material zur Verfügung. Das Kunstwerk ist die Summe aller Beiträge. Jeder Einzelne hinterlässt einen Teil seiner Identität, als Fingerabdruck in der Knete, oder als Botschaft an der Wand.

Die Kunst lebt: Als eine Form der Demokratie und als spielerische Aktion!

Norma Jeane * 1962 Los Angeles, USA; “#Jan25 (#Sidibouzid, #Feb12, #Feb14, #Feb17…)“ läuft noch bis zum 27. November 2011, Padiglione Centrale, Giardini;  54. Venedig Biennale, 2011: ILLUMInations Kuratorin: Bice Curiger

 

Vivien Trommer wurde 1986 in Berlin geboren und studiert derzeit in einem Masterstudiengang Curatorial und Critical Studies an der Goethe-Uni und der Städelschule in Frankfurt am Main. Vivien betreute auf der 54. Biennale in Venedig den Schlingensief Pavillon mit und stieß im Padiglione Centrale auf die Arbeit von Norma Jeane.

 

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