Atelierbesuch: Die Malerin Sophie Holstein

Ohne Titel, Öl auf Leinwand

Meine Zeichnungen sind kleine Versprechen

Interview Laila Niklaus

Sophie Holstein empfängt Gäste in ihrem Atelier in einem alten Gewerbehof in Kreuzberg. Die achtundzwanzigjährige Malerin und ihr Temperament haben wenig Platz in dem schmalen Atelier, das überquillt mit herrlichen Ölgemälden und Zeichnungen. Holstein pflegt eine figurative Malerei, die man als magischen Realismus bezeichnen könnte. Wirklichkeit und magische Elemente verschmelzen in ihren Bildern zu einer dritten Ebene.

Der Begriff des magischen Realismus wurde von dem Kunstkritiker Franz Roh in einem Artikel in der Zeitschrift Revista de Occidente (1927) geprägt. Besonders in der lateinamerikanischen Literatur vertreten, scheint es wird dieser Stil nun wieder von der Malerei aufgegriffen.

LN: Sophie, im Zentrum Deiner Malerei stehen Menschen. Sie tauchen überall auf, ob in kleinformatigen Zeichnungen oder farbintensiven Großformaten. Als Einzelfigur, als Paar oder in Gruppen. Was fasziniert Dich am Thema Mensch?

SH:  Mich interessiert zum Beispiel das Unvermögen jemals zu wissen, was ein anderer Mensch wirklich fühlt. Der Graben zwischen uns ist es wohl, der mich am meisten beschäftigt. Diese Lücken zwischen den Menschen ist der Nährboden für Konflikte und unsere gegenseitige Faszination.

LN: Deine Malerei scheint sich auf mindestens vier Blöcke zu konzentrieren: Zeichnung, Aquarell, Tinte und großformatige Leinwand. Warum?

SH: Die Arbeit mit verschiedenen Werkstoffen kommt mir so vor, als würde ich wie zwischen zwei Sprachen hin- und her springen. Auch wenn man die gleiche Geschichte erzählt, ergibt sich in der jeweiligen Sprache ein eigener Erzählweg.

LN: Auf den Leinwänden entwickelst Du vielschichtige Geschichten, während die kleinen Aquarellzeichnungen abstrakter wirken. Wann malst Du was, warum?

Ohne Titel, Tinte

SH: Ja, ein mit Tinte gemalter Stuhl vermittelt einen anderen Eindruck als einer in Ölfarbe. Die Durchlässigkeit von Aquarell oder Tinte, die Verletzlichkeit von Papier inspirieren mich dazu dieses Gefühl auch auf die Menschen in den Bildern zu übertragen.

Ich empfinde bei Ölfarben eher ein Verlangen über Konstruktion und Illusion nachzudenken. Die geschmeidige Farbe kann in Lasuren vernebeln oder brutal verdecken was unter ihr liegt. Ich setze Ölfarbe ein, um ein Bild zum Leuchten zu bringen und damit die Szene optisch aus dem Bild hervortritt. Die Farbe dient dabei nicht nur der Kolorierung, sondern schafft ein Gefühl von Temperatur und Raumtiefe und für die Struktur unterschiedlichster Materialien.

LN: Du hast mir mal gesagt, dass Deine Zeichnungen für Dich wie kleine Gebete, Gedanken oder Versprechungen wären. Wie meinst Du das?

Ohne Titel, Tinte

SH: So denke ich über die kleinen Tintenzeichnungen, die zwar aus unzähligen Schichten von Tinte bestehen, tatsächlich aber nur Umrisse oder Silhouetten von Figuren und abstrakten Formen zeigen. Sie beschreiben keine Geschichte sondern nur ein Gefühl.

Ich zeige weder ein erkennbares Umfeld noch gebe Indizien darauf, in welcher Zeit diese Körper sind. Mir geht es weder um Konstruktion und Plan, sondern nur um die Energie und Konzentration im Prozess des Zeichnens.

Um die Direktheit der Handlung, denn auf dem Papier wird nichts verborgen.

Wenn die Feder die Oberfläche des Papiers beim beschreiben der Linie, die am Ende eine Hand darstellt, verletzt wird und die mit Wasser verdünnten Pigmente in die tieferen Schichten eindringen werden die Formen irgendwie wahrhaftig.

LN: Als zeitgenössische Künstlerin ist es eher ungewöhnlich, dass Du „nur“ ein Medium bedienst. Also nicht auch noch Video, Fotografie und Installationen machst. Bist Du der Malerei verfallen?

SH: Vielleicht kommt der Moment noch in dem ein anderes Medium geeigneter wird. Augenblicklich empfinde ich das Papier oder die Leinwand als flach, doch sobald Ideen hinzukommen verwandelt sich die Fläche in ein Fenster.

LN: Die Personen auf Deinen Leinwänden wirken chronisch unzufrieden, melancholisch oder entrückt. Woher kommen die Figuren auf Deinen Bildern? Was sind zentrale Themen für Dich?

Ohne Titel, Aquarell

SH: Die Menschen auf den Bildern sind zugleich ausgedacht und basieren auf meinen eigenen Erfahrungen, Gedanken und Beobachtungen.

Mich interessiert die jugendliche Suche nach einem eigenen Weg durchs Leben, die von Hoffnung und Angst begleitet wird. Es ist wie die Jagd nach einem flüchtigen Versprechen. Dabei werden Gegenstände mit Wünschen aufgeladen, etwa Glücksbringer oder Maskottchen und manchmal dienen spirituelle Rituale als Geländer auf dem Lebensweg.

Auf Euphorien folgen Erschöpfungszustände, Depressionen oder auch Langeweile.

Ein Mensch der mit einem unbestimmten Gefühl von Unsicherheit einschläft, kann sich am nächsten Morgen bereits wieder als ‚auf dem richtigen Weg’ fühlen.

Es muss sich faktisch nichts geändert haben um Gefühle von Zuversicht und Desillusion im verwirrenden Wechselspiel zu erleben.

LN: Ein wichtiges Stilmittel, um Emotionen nach außen zu kehren, scheint für Dich die Perspektive zu sein. Sie scheint oft ein Stück verschoben. Warum machst Du das?

SH: Ich mache das wegen der Ambivalenz. Aus jedem Blickwinkel ergibt sich die Umgebung anders und auf jedes Gemüt wirkt ein Raum verschieden. Das Nebeneinander der verschiedenen Empfindungen übersetze ich in die Komposition eines Bildes.

Es geht mir selten um die reine Anwesenheit und Abbildung einer bestimmten Sache, sondern vielmehr um die Atmosphäre die sie vermittelt.

LN: In Deiner Malerei entwirfst Du eine Art magische Realität mit doppelten Böden und alltäglichen Helden. Doch aus den Bildern ergeben sich keine eindeutigen Geschichten. Wie wichtig ist es Dir diese Verwirrung hervorzurufen? Und was gibst Du am Ende doch mit auf den Weg?

SH: Ich bemühe mich so präzise wie möglich zu sein- dennoch ist meinen Bildern nicht eine bestimmte ‚Nachricht’ übergeordnet die sich mühsam im Bild verschlüsselt.

LN: Deine Kompositionen sind aufgebaut wie Theaterkulissen. Skurrile Details lösen Assoziationsketten aus, etwa durch altmodisches Spielzeug, Kuscheltiere oder ein Ringelschweinchen auf einem Holzblock. Sind diese Objekte Anti-Symbole oder Fetisch-Metaphern, die nur für Dich einen tieferen Sinn haben?

Ohne Titel, Öl auf Leinwand

SH: Ich kann diese Art der Details nicht zusammenfassend erklären da die Mehrdeutigkeit aus meiner Sicht das Interessante ist. Zunächst gibt es eine tiefere Bedeutung im Nichts- wir können eine Sache immer wieder neu mit Bedeutung aufladen. Die Bereitschaft Sinn zu suchen und zu geben ist dem Menschen eigen.

Mein Ziel ist es aber nicht Symbole zu erschaffen, die sich nur dem Wissenden mitteilen, sondern jedem der auf sein eigens Gefühl achtet.

Es geht mir darum, dass man richtig liegt in dem Moment, wo man selber assoziiert und nicht die Abkürzung über den Intellekt nimmt. Sobald ein Symbol im Bild nicht mehr einen Charakter hat sondern nur der Sinnträger ist, braucht es nicht gemalt zu werden. Es hätte auch mit einem Wort definiert sein können.

LN: Du bist auf dem norddeutschen Land aufgewachsen, Deine Bilder zeigen aber ausschließlich Räume. Woran liegt das?

SH: Als Kinder auf dem Land haben wir die meiste Zeit entweder Höhlen oder Welten aus Playmobil und Holzklötzen gebaut. Einmal habe ich eine Freundin besucht und sie hatte auf ihren Teppich Linien gezeichnet die ihr Zimmer in lauter kleine „Zimmerchen“ unterteilten.

Selbstverständlich durfte man nicht einfach darüber steigen sondern musste durch die eingezeichneten Türen gehen. Sprechen konnte man auch nur wenn man sich im gleichen „Raum“ aufhielt. Ich erinnere nicht mehr genau ob ich mich nicht sogar einsam fühlte, allein auf der anderen Seite der Klotzlinie.

Mich interessieren Bedürfnisse und Wünsche der Menschen, die sich in den von ihnen geschaffenen Räumen widerspiegeln.

LN: Besonders oft tauchen Kinder oder infantil wirkende Erwachsene in Deinen Bildern auf. Du zeigst etwa schlafende Kinder in einer Serie auf Mini-Leinwänden. Oder Porträts von Kinderköpfen, die überaus schelmisch wirken. Was fasziniert Dich an Kindern?

Ohne Titel, Tinte und Aquarell

SH: Die Vorstellung das Kinder den Dingen völlig unbefangen eine eigene Bedeutung schenken. Bevor ein Kind gelernt hat Funktionalität und Allgemeingültigkeit der eigenen Fantasie überzuordnen, entsteht in jedem Kind eine individuelle Auffassung ihrer Umgebung.

Stolperst du nicht manchmal über eine Sache, zu der Du als Kind eine besondere Beziehung hattest? Über einen Stoff, von dem Du dachtest, dass eine Kolonie von Sandkornraupen darin lebt und Burgen baut, der sich Jahre später doch bloß als schnöder Vorhang entpuppte?

 

Danke für das Gespräch!

SH: Danke Laila, für Deine Fragen!

 

Sophie Holstein, www.sophieholstein.com

Nächste Ausstellung:

Anfang Februar 2012, Gruppenausstellung Paris, Galerie Daniez & de la Charette (Zeichnungen) http://www.galerieddc.com/

Mai 2012, Einzelausstellung in der Galerie Lacke und Farben, Berlin, http://www.lackefarben.de/

 

Sophie Holstein:

Ausbildung:

2006-2008 BFA, Parsons The New School for Design, New York

2004-2006 Parsons School of Design, Paris, Master in Fine Arts

Einzelausstellungen:

2009 Galerie Kuckucksnest, Berlin

Gruppenausstellungen:

2009 lets go home, S-KAI building, Hamburg
2008 Thesis Show, MC Gallery, New York
2007 City Symphonies/Urban Muck, fifth floor Gallery, New York
2007 Mentor- Meteor, fifth floor Gallery, New York
(Catalog with essay by Tom Zummer)
2005 Parsons School of Design,
End of the year show at Espace commune, Paris
2004 Parsons School of Design Gallery, Paris

Auszeichnungen:
2006-2007 BFA Deans Scholarship

 

 

 

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