Atelierbesuch: André Butzer

André Butzer

Die Evolution des Malers AB (Der Künstler als Gesamtkunstwerk)

Die meisten Künstler wollen unbedingt nach Berlin. Sie wollen dazugehören zur Kunstszene, streben nach Ausstellungen und Anerkennung. Der Maler André Butzer hat sich hingegen mit seiner Familie an den Stadtrand zurückgezogen—er hat bereits alles erreicht.

Butzer ist international angekommen, zumindest was seinen Marktwert angeht. Aktuell zeigt der Maler als einer von zwei Dutzend jungen deutschen Künstlern Bilder in der Ausstellung „Gesamtkunstwerk – New Art from Germany“ in der Saatchi Gallery in London.

Charles Saatchi beteiligte sich in den Neunziger Jahren nicht unwesentlich an der Promotion der Young British Artists, darunter Damien Hirst und Tracey Emin—doch dazu später mehr.

Der gebürtige Schwabe Butzer lebt und arbeitet seit fünf Jahren auf einer beeindruckenden vier Hektar großen Teilfläche einer Flugzeugfabrik aus den 1930er Jahren in Rangsdorf. Vom dazugehörigen Flughafen flog Graf von Stauffenberg zu seinem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 nach Ostpreußen.

André Butzer vor seinem Atelier

Gleich zu Beginn gibt Butzer, ein asketischer Typ in moosgrüner Lodenstrickjacke mit Hornknöpfen, eine kleine Führung über das Gelände der ehemaligen Bücker-Flugzeugbau-Werke.

Das Verwaltungsgebäude und die Kantine für Ingenieure von 1938, in dem das Atelier untergebracht ist, sind L-förmig angeordnet. Dazwischen stehen stattliche Bäume in einer Parklandschaft. Sie wurde von den Sowjets angelegt, die hier bis 1994 stationiert waren. Auf einem abgesteckten Stück lebt eine Hühner – und Ziegengemeinschaft.

Das modernistische Ensemble wirkt wie die Kulisse in einem russischen Science-Fiction-Streifen von Sergej Eisenstein.

Kreativlabor – die Kantine für Ingenieure

Den Eingang zum Atelier, einem rechteckigen Gebäuderiegel mit vorgesetzter halber Rotunde, ziert eine Plakette mit Maxim-Gorki Relief. In kyrillischer Schrift ist der Spruch verzeichnet: „Liebe zu Büchern ist die Quelle zu Wissen.“

In dem 800m2 großen Atelier ist es angenehm warm und aufgeräumt. Wattiges Licht fällt durch üppige Glasfenster in den kathedralenartigen Raum. Es duftet nach Farbe. An den Wänden stehen vier riesige Leinwände, die Butzer im Frühjahr in seiner Berliner Galerie Guido W. Baudach ausstellen wird.

Butzer zählt neben den Malern Thomas Zipp und Andreas Hofer zu den in der Szene als „Baudach-Boys“ bezeichneten Künstlern, die in den letzten Jahren einen kometenhaften Aufstieg vom Rand der Berliner Szene in die vorderste Reihe hinlegten.

Blick in das Atelier mit den neuen Bildern

Bei den neuen Werken handelt es sich um große Ölschinken, die auf den ersten Blick lediglich jeweils ein vertikales und ein horizontales Rechteck auf grauem Grund zeigen.

Die abstrakte Werkgruppe aus insgesamt 40 Leinwänden, ohne Titel, ist für Butzer Fans ein radikaler Kontrast zu den früheren Werken, die expressiv farbig sind.

Bei näherer Betrachtung der grauen Bilder treten jedoch zarte Farben unter der Bildhaut hervor. Hautähnliche Töne, blauschimmernde Wolkenstrukturen oder ein Farbflimmern, das wie eine Vibration auf die Pupille einwirkt.

Butzer, auf der Suche nach (eigenen) bildnerischen Gesetzmäßigkeiten, wendet sich mit dieser Reihe absoluten Grundformen der Malerei zu. Es ist eine von Butzers Methoden, in Anlehnung zur Kunstgeschichte zu arbeiten. „Meine Bilder handeln nicht von mir“, behauptet er, sondern von weitergeführten Ideen anderer Künstler, wie Mondrian oder Cézanne.

In einer Ecke des Ateliers hängt eine weitere Inspiration. Die Kopie eines Raffael Porträts der Mutter Maria. Das Bild trage laut Butzer keine Farbe in sich, sondern beherberge sie. Und genau das versuche Butzer in seinen neuen Arbeiten, so weit er sich auch von der Inspiration entfernt haben mag.

Vom Nobody zum internationalen Künstlerdarling

André Butzer in seinem Atelier

Nichts wies bei dem 1973 in Stuttgart geborenen Butzer darauf hin, dass er einmal ein international goutierter Künstler werden würde. Butzer wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Die Mutter war Friseuse, der Vater Werkzeugmacher für IBM.

Erst als Zivildienstleistender in Hamburg entdeckte Butzer die Lust an der Malerei, als er in der Kunsthalle eine Bilderserie des figurativ-abstrakten Malers Asger Jorn (1914-1973) sah.

Butzer entwickelte daraufhin einen komplizierten Bildkosmos mit eigener Interpretationsanleitung. Er schuf etwas Neues, was von außen wie die Absage an die Tugenden der Malerei wirkt. Seine verstümmelten, cartoonhaften Figuren in auf die Leinwand geschmierten grellen, oft hässlichen Farben, sind ein Angriff auf die Sinne.

So verwundert es nicht, dass Butzer nach nur zwei Semestern von der Hamburger Kunsthochschule ausgeschlossen wurde. Er sei wohl zu unangepasst gewesen, mutmaßt Butzer rückblickend.

Stattdessen gründete Butzer 1996 mit über zwanzig Gleichgesinnten, darunter auch Jonathan Meese, die egalitäre Künstlergruppe „Akademie Isotrop“.

Ziel der losen Vereinigung war die Organisation eigener Seminare fern der Kunstakademie und das autonome Ausstellen und Publizieren. Kurz nach der Auflösung der Gruppe nach nur vier Jahren zog Butzer in die Berliner Karl-Marx-Allee.

Seine ersten Ausstellungen in der Galerie Baudach und bei Max Hetzler waren umfassende Misserfolge. Kritiker beurteilten Butzers Werke als reaktionär und dilettantisch, sogar sinnlos. Andere Künstler allerdings entdeckten den Maler für sich, wie Albert Oehlen.

Darauf folgten Sammler, die Butzers Arbeit als progressiv, post-konzeptuell und provokant wahrnahmen.

Butzer hat seit den 1990er Jahren ungefähr 700 Gemälde gemalt, die heute mehrheitlich verkauft und in wichtigen Sammlungen untergebracht sind, etwa in der Sammlung Taschen, Goetz, Scharpff oder der Rubell Collection.

Das System Saatchi

Andre Butzer und der Fotograf Oliver Wolff

Auch Charles Saatchi kaufte in den Neunziger Jahren Werke des Künstlers. Sie sind in der aktuellen Londoner Ausstellung neben Werken von Isa Genzken, Jeppe Hein oder Corinne Wasmuth zu sehen.

Butzer hatte keinerlei Einfluss darauf, was der passionierte Kunstliebhaber Saatchi zeigen würde. Dass seine Werke im Anschluss wieder auf den Markt kommen und im besten Fall seinen Wert steigern werden, kann Butzer aber nicht unrecht sein.

Saatchi gründete seine Galerie vor über zwanzig Jahren und macht seine umfangreiche Sammlung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Doch wegen des Verdachts auf gezielte Manipulation bleibt die Rolle des Werbemagnaten im Kunstbetrieb umstritten.

Die Schau will die Frage klären, wie es um die Idee vom Gesamtkunstwerk in Deutschland stehe. Das Magazin Monopol bezeichnet diesen Versuch allerdings als „musealen Bluff“. Auch im Guardian kommt Butzer nicht gut weg. Er sei ein Künstler, der ganz bestimmt nicht gemocht werden will.

Fest steht: Ein Künstler, der sich die Mechanismen des Marktes zueigen macht, ist nicht unbedingt beliebt. Butzer steuert und verwaltet seine eigene Produktion mit der Akribie eines global agierenden mittelständischen Unternehmers.

Aus rein ästhetischer Sicht würde niemand einen Butzer an die Wand hängen. Er ist, technisch gesehen, kein besonders guter Maler. Doch einesuss man dem Künstler lassen: er trifft mit seiner Kunst ziemlich genau den Zeitgeist – dafür kann man ihn mögen oder nicht.

Der wahrscheinlich beste abstrakte Maler der Welt

Butzer bezeichnet seinen Stil selbst als Science-Fiction-Expressionismus. Seine Bilder sind quasi gattungslos. Alles ist bewusst offen gehalten. Es werden keine linearen Geschichten erzählt, stattdessen wird ein Thema in ausgedehnten Serien variiert.

Der Maler nimmt gerne Bezug auf Persönlichkeiten wie Henry Ford oder Walt Disney, die eine Kultur der industrialisierten Massenproduktion sowohl in der Wirtschaft wie in der Unterhaltungsbranche geprägt haben. Damit schlägt Butzer eine Brücke zum Readymade und zur Pop-Art.

Butzer bedient sich gerne weiter Assoziationsfelder und aller möglichen Stile und Techniken. Der Künstler spannt mit seinen Arbeiten einen weiten Bogen zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Realität und Utopie, zwischen Expressionismus und Comic. Letztlich wirken die grotesken Übereinanderschichtungen und dichten Paletten üppiger Farben wie ein donquichottisches Streben nach Sinn.

Bei der Betitelung seiner Werke setzt Butzer oft Zweideutigkeit oder Ironie ein und vermischt Wort- und Bildassoziationen gekonnt miteinander. Im letzten Jahr betitelte der Maler seine erste große Einzelausstellung in der Kestnergesellschaft in Hannover ironisch und angelehnt an die Carlsberg-Bierwerbung mit „Der wahrscheinlich beste abstrakte Maler der Welt.“

Die aktuellen monochromen Bilder tragen keine Titel mehr. „Vor einem Jahr habe ich den letzten Titel vergeben“, erläutert Butzer. „Früher erfand ich die irrsinnigsten Titel. Umso dramatischer wirkt es, heute keine mehr zu vergeben.“

Butzer vs Koons

Butzer wirkt wie ein Antipode zu seinen Bildern. Er ist weder provokant, noch schwer greifbar, sondern sympathisch und ein wenig schräg.

Butzer vs Koons

Als der TIP-Fotograf Butzer in einer alltäglichen Handlung ablichten möchte, greift der Künstler spontan zu einem kanariengelben Staubsauger und bearbeitet den Boden vor seinen Bildern damit. Der Rücken ist gekrümmt, das Gesicht ernsthaft. Wer aber meinte, diese Aktion geschehe völlig ohne Hintergedanken, irrt.

„Das hätten wir auch erledigt“, sagt Butzer beim Ausschalten des Geräts und verweist auf Jeff Koons, den er mit dieser Aktion karikieren will. Koons stellte in den 80er Jahren Staubsauger der Firma Hoover in Vitrinen aus und bezeichnete die Serie „New Hoover Celebrity“ als dreidimensionale Malerei.

Jede auf naivem Ernst basierende Kritik an der Mission eines Künstlers wie Butzer läuft bei solch entwaffnenden Aktionen zwangsläufig ins Leere.

 

André Butzer, Galerie Guido W. Baudach, bis 10. März, Oudenarder Strasse 16-20, Wedding, Di-Sa 11-18 Uhr

Laila Niklaus (im tip-Magazin erschienen im Januar 2012)

http://www.tip-berlin.de/kultur-und-freizeit-kunst-und-museen/atelierbesuch-bei-andre-butzer

 

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